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Der Deutsche Ritterorden

 

Die Wildnis und ihre Besiedlung

Erst nach langen erbitterten Kämpfen hat der Orden die innerpreußischen Landschaften endgültig niederringen können. Ein Teil der dort sitzenden Stämme, der Sudauer, Galinder und Nadrauer, hat dabei seinen Untergang gefunden, ein anderer hat sich weiter in den Osten zurückgezogen, der Rest wurde von den Siegern in den westlichen Landschaften des Ordensstaates angesiedelt. So haben starke Scharen von Sudauern aus dem heutigen Masuren mit ihrem sagenberühmten Anführer Skomand in Natangen und im Samland eine neue Heimat gefunden. Wenn man sich nun auch die Wildnis, die so entstand, keineswegs als völlig menschenleer vorstellen darf, eine dichtere Besiedlung hat es doch nirgends mehr gegeben. Daß der Orden das Gebiet absichtlich entvölkert habe, um sich in diesem wüsten Grenzgürtel von ungeheurer Tiefe einen Schutz vor den Litauereinfällen zu schaffen, kann schon deshalb nicht als sehr wahrscheinlich gelten, weil die Unwirtlichkeit des Landes den Orden bei seinen eigenen Feldzügen gegen die Litauer stärker hindern mußte als umgekehrt diese selber. Zur Wildnis wird man den ganzen riesigen Landstrich rechnen können, der sich etwa vom Drewenzknie bei Strasburg aus jenseits von Alle und Deime weit in den Osten und Nordosten hin erstreckte. Dem Namen nach unterstand zumindest der westliche Randstreifen dieses Gebiets dem Orden, doch war er nicht in der Lage, die Litauer abzuwehren, die hier ein günstiges Aufmarschgelände für ihre Angriffe auf den Kernbesitz des Ordensstaates fanden. Schon um die Durchführung des Dorfsiedelwerkes im Kulmerland und in Pomesanien sicherzustellen, mußte man bald eine festere Eingliederung von Teilen des Vorgeländes in Erwägung ziehen. Die ersten Versuche dieser Art sind am äußersten Westrand des Wildnisgebiets gemacht worden. Vom Kulmerland und der Löbau ausgehend gründete man feste Häuser, um zunächst die Landschaft Sassen, die sich mit den heutigen Kreisen Osterode und Gilgenburg deckt, fester in die Hand zu bekommen. Um das Jahr 1320 wurden im Schutz des Ordenshauses Altstadt bei Gilgenburg umfassende Vorbereitungen zur siedlerischen Erschließung getroffen, indem man siedlungslustigen Adligen aus dem Kulmerland und aus Pomesanien größere zusammenhängende Besitzungen zur Aufteilung zuwies. Hier setzte noch in den zwanziger Jahren eine rege Siedelarbeit ein, die der Orden von sich aus durch Gründung der Städte Gilgenburg und Osterode unterstützte, während er, anderweitig gebunden, von der eigenen Dorfanlage weitgehend Abstand nahm. Bis zur Mitte des Jahrhunderts ist auch das Gebiet umdie neugegründeten Städte Soldau und Hohenstein siedlerisch erfaßt und damit dem Ordensstaat gewonnen worden.

Inzwischen war an anderer Stelle weiter nördlich ein neuer Vorstoß in die Wildnis hinein erfolgt, dessen sorgfältige Planung auf den allzufrüh durch Mörderhand gefallenen Hochmeister Werner von Orseln zurückgeht. Auch hier sorgte man zunächst für die militärische Sicherung. Im Vorgelände entstand eine Sperrkette mit den festen Häusern Gerdauen, Barten und Rastenburg; die rückwärtige Verbindung zur Allelinie hin, an der die Stadt Bartenstein entstand, deckte die Leunenburg. Auch das ermländische Wildnisgebiet wurde mit einbezogen: hier legte ein mit dem Amt des Bischofsvogtes beauftragter Ordensbruder das Haus Alt-Wartenburg an, das im neugegründeten Guttstadt einen starken Rückhalt fand. Gleichzeitig erfolgte eineverwaltungsmäßige Aufgliederung des Vorgeländes, gerade dies eine Maßnahme, die auf weitreichende Pläne der Ordensleitung schließen läßt. So ist schon nach kurzer Zeit eine neue Befestigungslinie weiter im Vorfeld angelegt worden, die aus den Häusern Insterburg, Lötzen, Angerburg und Allenstein bestand. Immer tiefer drang man auf diese Weise in die ehemalige Wildnis ein. Zwischen den
Burgen wurden Verhaue angelegt und an passenden Stellen kleine sogenannte Wildhäuser erbaut, wie sich eins in der Kirche Bäslack bei Rastenburg bis in unsere Tage hinein gehalten hat.

Es liegt nach alledem auf der Hand, daß auch die Anfänge der Landnahme auf diesem Boden ausschließlich von militärischen Gesichtspunkten bestimmt waren. Unter
dem Hochmeister Dietrich von Altenburg sind neben den Häusern preußische Freie als Späher und Geleitsleute angesetzt worden, die zum Entgelt für ihre Dienste kleine Besitztümer erhielten. Im Lauf der Zeit ging man dann bewußt dazu über, größere Besitzeinheiten von etwa 10 Hufen auszugeben, deren Besitzer, Deutsche und Preußen, die Verpflichtung zur Heeresfolge übernehmen mußten und so eine willkommene Verstärkung der militärischen Kräfte des Ordens in diesem umstrittenen Grenzgebiet bildeten.

In diesen Jahrzehnten sind die Litauer immer wieder eingefallen, haben aber ihr eigentliches Ziel, das Kernland des Ordensstaates jenseits von Drewenz und Alle, nicht mehr erreichen können. Der militärische Ausbau des Vorfeldes hat somit seine ursprüngliche Aufgabe vollauf gelöst, wenn auch dabei die ersten schwachen Ansätze deutschen Lebens im Wildnisgebiet selber immer wieder vernichtet wurden. 1345 fand die Lischke, die neben der Rastenburg entstanden war, ihren Untergang; erst ein Dutzend Jahre später konnte hier eine deutsche Stadt gegründet werden, deren burgartige Georgskirche sich als Zeuge dieser kampfdurchtobten Zeit bis in die Gegenwart hinein gehalten hat. Im Ermland wurde 1353 die deutsche Siedlung bei Alt-Wartenburg niedergebrannt, während die neugegründete Stadt Allenstein unangefochten blieb. Um auch für die Zukunft alle Gefahren auszuschließen, wurde die Burg in Stein ausgebaut, die heute noch das Wahrzeichen der Stadt bildet und einmal ihre Glanzzeit erlebte, als sie 1521 im sogenannten Reiterkrieg von Nikolaus Copernicus gegen die Scharen des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg verteidigt wurde.

Erst um das Jahr 1370 konnte die Litauergefahr als beseitigt gelten. Damit eröffnete sich in den an die Alle stoßenden Teilen des ehemaligen Wildnisgebiets, in denen bislang nur dienstpflichtiger Besitz verliehen worden war, die Möglichkeit zur Landnahme deutscher Zinsbauern. Einen größeren Umfang nahm dieser Vorgang aber erst um 1400 an, als in- der Umgebung von Drengfurt eine geschlossene Gruppe von Ordensdörfern entstand. Im Zusammenhang damit wurden die beiden Städte Drengfurt und Nordenburg aus wilder Wurzel gegründet, auch in Gerdauen wurde jetzt an Stelle der Lischke, wie man die allmählich neben den Burgen erwachsenden Krüger- und Händlersiedlungen zu nennen pflegt, eine regelrechte Stadt eingerichtet, während eine ähnliche Siedlung neben der Bartenburg noch längere Zeit auf der Entwicklungsstufe der Lischke stehenblieb.

Im Jahrzehnt der Schlacht von Tannenberg war die Masurische Seenkette auf breiter Front erreicht. Im Norden war die deutsche Siedlung von Wehlau aus pregelaufwärts bis zur halben Höhe von Insterburg vorgekommen. Den größten Erfolg aber hatte man im südöstlichen Abschnitt errungen. Hier waren die Restteile der Landschaft Sassen um Neidenburg (1381) bis zu jener Grenzlinie völlig aufgesiedelt worden, die bis 1920 die deutsche Reichsgrenze gegen das russische Polen bildete. Damit war es dem Orden gelungen, weite Teile des früheren Wildnisgebiets siedlerisch zu erfassen und damit für immer seinem deutschen Staate zu gewinnen.

Aber schon waren im Vorfeld neue Ziele gesteckt: die Burgen Johannisburg, Ortelsburg und Lyck, die noch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mitten im heutigen Masuren angelegt worden waren. Kaum hatte sich der Orden von den Schlägen des ersten Polenkrieges erholt, als auch bereits die Aufteilung der umliegenden Gebiete begann, die noch im Verlauf des 15. Jahrhunderts ganz oder nahezu abgeschlossen werden konnte. Diese Leistung, die von der ungebrochenen siedlerischen Fähigkeit des Ordens zeugt, ist um so höher einzuschätzen, als sich seine Lage infolge der unsicheren innenpolitischen Verhältnisse und der immer von neuem aufflackernden Kriege mit Polen dauernd verschlechtert hatte.

Die neuen Siedlungsgebiete von Johannisburg und Lyck zogen sich unmittelbar an jener Grenzlinie entlang, die 1422 im Vertrage vom Melnosee festgelegt worden war und nun auf diese Art dem Ordensstaat gesichert werden sollte. Von hier aus konnte man dazu übergehen, mit rückwärtiger Front jenen letzten Streifen alten Wildnislandes aufzuteilen, der früher übersprungen worden war. Dieser Aufgabe hat sich vor allem Herzog Albrecht unterzogen, der in der siedlerischen Erschließung des ganzen preußischen Rumpfstaates einen Ersatz für die Verluste des Thorner Friedens von 1466 suchte. Jetzt wurde der Restteil von Ortelsburg aufgeteilt, es folgte der weite Landstrich, der sich östlich von der Masurischen Seenkette bis zur Grenze um Treuburg und Goldap hin erstreckte. In dieser Zeit sind nach dem alten bewährten Siedelverfahren des Ordens zahlreiche neue Städte entstanden, die in ihrer Anlage gemeinsame Züge mit den alten Ordensstädten zeigen, wenn man von jenem riesigen Markt absieht, der als kennzeichnendes Merkmal dieser jüngeren Städtegruppe angesprochen werden kann.

Die ehemaligen Wildnisgebiete sind von jeher Bauernland gewesen und bis auf den heutigen Tag geblieben, während in den nordwestlichen Teilen des Ordenslandes, dem Gebiet der planmäßigen Dorfsiedlung, große Veränderungen eingetreten sind. In der Notzeit des 15. und 16. Jahrhunderts sahen sich die Hochmeister und Markgrafen des öfteren veranlaßt, einzelne oder mehrere landesherrliche Dörfer, in einigen Fällen sogar geschlossene Ämter, ihren Söldnerführern oder anderen Gläubigern als Pfand zu überlassen, ohne daß damals oder in der unmittelbaren Folgezeit eine Möglichkeit zur Einlösung bestanden hätte.

In den großen Grundherrschaften der Eulenburg, Finkenstein, Dohna, Schlieben usw., die sich auf diese Weise bildeten, sind die alten Bauerndörfer allmählich aufgelöst worden, während die gutsherrlichen Vorwerke immer weiter um sich griffen. Es dauerte nicht lange, bis aus manchem alten freien Zinsbauern ein gutsuntertäniger Bauer oder gar ein landloser Scharwerker geworden war. Von dieser Entwicklung, die besonders stark die Gegend um Bartenstein, Mohrungen, Preußisch Holland, Rosenberg und Deutsch Eylau in Mitleidenschaft gezogen hat, ist das ehemalige Wildnisgebiet ganz verschont geblieben, weil seine Aufsiedlung zur Zeit der großen Verpfändungen noch nicht beendet war. Auch im Ermland hat sich die Besitzverteilung nicht geändert; hier beherrschen von alters her die vielen großen Bauerndörfer das Feld.

(Stand: 04.08.2006)

 

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