Gegen Ende des 13. Jahrhunderts haben die Litauer vom Südosten her mehrere Vorstöße gegen das Kulmerland unternommen, die das gerade damals einsetzende Dorfsiedlungswerk an der Ossa ernstlich gefährdeten. Der Orden sann auf
Abhilfe und suchte die Südgrenze des Landes an der Drewenz zu befestigen. Im Orte Gollub, den der Orden zu dem Zweck in seinen Besitz brachte, ließ er eine Burg anlegen, die bald nach der Jahrhundertwende in Stein ausgebaut wurde.
So entstand eine der größten Konventsburgen des Ordenslandes, deren Ruinen mit dem scharfen Gegensatz zwischen der bezwingenden Strenge des alten Hauses und den bizarrem Aufbauten der Barockzeit zu den malerischsten Baudenkmälern dieses Teiles unserer deutschen Heimat gehören. Wahrscheinlich ist gleichzeitig mit Gollub 20 km weiter flußaufwärts an der Drewenz die
Strasburg errichtet worden; doch begnügte man sich nicht mit der militärischen Situation, sondern stellte auch siedlerische Maßnahmen in den Dienst der Sache.
Schon im Jahre 1296 soll neben der Burg Gollub die gleichnamige Stadt gegründet worden sein, zwei Jahre später war auch die Anlage der Stadt Strasburg im Gange, wenn nicht gar schon abgeschlossen. Die Städte hatten nicht allein die Aufgabe, zusammen mit den Ordenshäusern die wichtigen Drewenzübergänge zu schützen, sondern dienten auch als Rückhalt für die ländliche Siedlung, die um dieselbe Zeit auf dem nördlichen Drewenzufer einsetzte. In einem Jahrzehnt etwa ist rund ein Dutzend älterer Siedlungen zu großen deutschrechtlichen Zinsdörfern umgelegt worden, deren stattliche, größtenteils noch erhaltene Kirchen in den Anfang des 14. Jahrhunderts zurückreichen, während andere weiter im Binnenland liegende Dörfer wesentlich später entstanden.
Offenbar suchte der Orden hiermit seine Stellung an der bedrohten Drewenz über
die rein militärische Sicherung hinaus auszubauen. Diese politische Zielsetzung für ein Siedlungsvorhaben im umstrittenen Grenzgebiet führte zur Bildung einer Kulturgrenze, die bewußt als solche gedacht und geschaffen war. Wir kennen ihren Schöpfer: es war Konrad Sack, der als Landkomtur von Kulm (1296-1298) die Gefahr an der Südgrenze erkannt hatte, zur Abwehr neben den befestigten Plätzen Stadtanlagen schuf und in ihrer Nachbarschaft eine umfassende bäuerliche Siedlung betrieb. Während seiner Landmeisterzeit hat Konrad Sack (1302-1306) für den Ausbau des Golluber Schlosses Sorge getragen und ist nach der Amtsniederlegung nach Gollub gegangen, um dort die Komturei zu übernehmen; der Rest seines Lebens war der Fürsorge für den Grenzschutz gewidmet.
Im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts ist der Orden darangegangen, die südlichen
Randgebiete Pommerellens zur Kulturgrenze auszubauen. Bezeichnend für die Art
der Durchführung ist die Verteilung der Städte, von denen je fünf hart an der Süd- und
Westgrenze liegen, wo sie gewissermaßen als Stützpunkte für die ländliche Siedlung ringsum
gedacht waren. Das erste bäuerliche Siedlungsvorhaben nach der Erwerbung Pommerellens ist nicht, wie es naheläge, an der Weichsellinie, sondern in der äußersten Südwestspitze des Landes, in der Nähe der neugegründeten Stadt Konitz aufgenommen worden, während die riesige Konventsburg von Schlochau, deren Erbauung in dieselbe Zeit fiel, den militärischen Schutz übernahm. Auch hier sind militärische Anlagen, Stadtanlage und bäuerliche Siedlung im engsten räumlichen und zeitlichen Zusammenhang den gleichen staatspolitischen Zielen dienstbar gemacht worden.
In der Folgezeit hat der Orden gerade das Schlochauer Land als vorgeschobene Bastion besonders stark ausgebaut. Der südliche Grenzgürtel der Komturei ist in einer Tiefe von rund 20 Kilometern aufgesiedelt worden, ein Vorhaben, das nach Osten hin im Südteil der Komturei Tuchel seine Fortsetzung fand. Ein großer Teil der dortigen landesherrlichen und grundherrlichen Dörfer ist auf Neuland angelegt worden. Auch in der rechtlichen Ausstattung des Gutsbesitzes hebt sich die Komturei Schlochau aus der Reihe der übrigen pommerellischen Verwaltungsbezirke heraus. Hier hatte sich ausschließlich das Kulmische Recht durchgesetzt, bezeichnenderweise behauptete es auch in den Gütern des Grenzlandes Bütow und des Südteils der Komturei Tuchel das Feld, während sich in dem zu Tuchel gehörigen Sabirsgebiet, das nordöstlich der Brahe lag, das polnische Recht in zahlreichen Besitzverhältnissen gehalten hatte.
Als politische Grenze hat die Kamionka- und Dobrinkalinie einen großen Teil ihrer
Bedeutung verloren, als Pommerellen 1466 der polnischen Krone unterstellt wurde, als
K u l t u r g r e n z e hat sie im Sinne ihrer Schöpfer ein halbes Jahrtausend überdauert und
gibt sich als solche heute noch mit voller Deutlichkeit zu erkennen.
Siedlung ist niemals Selbstzweck. Gerade der Orden hat mit ihrer Hilfe die bedeutendsten staatspolitischen Aufgaben angepackt und gelöst, gleich, ob es sich darum handelte, in den Siedelgruppen deutscher Bauern eine feste volkliche Grundlage für seinen Staat zu schaffen oder ein in seinem ganzen Gefüge andersgeartetes Land wie Pommerellen mit dem altpreußischen Landesteil im Ordensstaat zu einer inneren Einheit zu verschmelzen.
Diese politische Zielsetzung der Siedlung hat in den siedlerischen Maßnahmen an der Grenze
ihren klarsten Ausdruck gefunden. Gleichzeitig hat im Ausbau der Kulturgrenze jene Arbeit ihre höchste Steigerung erfahren, in der die Ordensritter eine hohe Aufgabe gesehen und die größten und weitestreichenden Erfolge davongetragen haben. Nirgends decken sich Kulturgrenze und Staatsgrenze so deutlich wie in der ostpreußischen Wildnis,
wo sich die Grenze des Ordensstaates im Lauf einer jahrhundertelangen Entwicklung mit
dem Rande des siedelmäßig erfaßten Gebiets von der Alle-Drewenz-Linie aus weit in das
Vorland hineinschob, bis die Grenzziehung von 1422 der weiteren Ausdehnung Einhalt gebot.
(Stand: 04.08.2006)
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