Den kämpfenden Ordensheeren, die sich mit dem Schwert in der Hand einen Weg bahnten, folgten Scharen deutscher Zuwanderer, die in dem neueroberten Lande Lebensmöglichkeiten zu dauernder Ansiedlung suchten. Schon in den ersten Jahren ließen sich deutsche Bürger und Kaufleute neben den Ordensburgen Thorn, Kulm und Rheden nieder; Stadtgründungen wie Marienwerder, Elbing, Christburg, Braunsberg und Königsberg bezeichnen den weiteren Eroberungszug, der die Ritter die Weichsel abwärts und am Südufer des Frischen Haffs entlang bis zum Pregel führte. Bald wurden Besitzungen auf dem flachen Lande an rittermäßige Zuwanderer verliehen, die dafür dem Orden einen in diesen kriegerischen Zeiten höchst willkommenen Reiterdienst zu leisten hatten. Doch blieb die Landnahme dieser Männer, die meistens aus Niedersachsen, den Elblanden und aus Schlesien stammten, auf den West- und Nordwestrand Preußens an Weichsel und Frischem
Haff beschränkt. Im Kulmerland hat man um das Jahr 1250 sogar die ersten Versuche zur
Ansetzung deutscher Bauern gemacht, denen auch kein großer Erfolg beschieden war.
Alle diese Ansätze fanden ein jähes Ende, als die Preußen im Jahre 1260 den letzten verzweifelten Kampf gegen die Deutschen aufnahmen. Der Orden selber konnte sich nur
mit Mühe in einigen wenigen befestigten Stützpunkten halten; auf dem flachen Lande ging
alles verloren. Die städtischen Ansiedlungen wurden überrumpelt und zerstört, die Edelhöfe
der Landritter und die deutschen Bauerndörfer gingen in Flammen auf. „Ihre Namen weiß
Gott allein", sagt der Ordenschronist von all den deutschen Siedlern, die damals ihr Leben
ließen. Es hatte sich gezeigt, daß die paar Landritter und das Bürgertum der wenigen Städte
dem Deutschen Orden, dessen eigene militärische Kraft nie sonderlich groß war, keinen
genügenden Rückhalt zu geben vermochten. Diese Erfahrung wirkte sich aus, als es dem
Orden nach langen Kampfjahren gelungen war, die Preußen mit Hilfe von Kreuzfahrern
niederzuwerfen. Die Ansetzung deutscher Bauern, in denen sich der Orden eine allen Stürmen gewachsene feste Grundlage für seinen Staat zu schaffen gedachte, erschien als das Gebot der Stunde.
Eine alte Chronik erzählt uns davon, wie sich, auf die Nachricht hin, in Preußen sei der Frieden, eingekehrt, die Bauern aus Niedersachsen, Meißen, aus Friesland und Holland auf den Weg ins Ordensland gemacht hätten. In der Tat sind schon in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts in den der Weichsel zugekehrten Teilen des Kulmerlandes und
Pomesaniens, auf beiden Ufern der Ossa und in der Nachbarschaft der Marienburg, die
ersten deutschen Dörfer gegründet worden. Ihren Höhepunkt erreicht die Bewegung um die Jahrhundertwende, als die Bauernsiedlung schlagartig an mehreren verschiedenen Stellen
des Binnenlandes aufgenommen wurde. Um 1315 begann die Urbarmachung des großen und
fruchtbaren Marienburger Werders, bald setzte die Dorfanlage in der Landschaft Natangen
ein, und schon um 1330 hatte man das südliche Pregelufer bei Königsberg und Wehlau
erreicht. In einem halben Jahrhundert waren somit im Kerngebiet des Ordensstaates, das
nach Südosten hin bis zur Drewenz und Alle reichte, einige hundert deutsche Dörfer besetzt
worden. Diese lagen aber nicht regellos über das Land verteilt, sondern waren zu Gruppen
zusammengefaßt, in deren Mitte sich gewöhnlich eine Stadt erhob. Der Orden ist demnach bei der Dorfsiedlung mit großer Planmäßigkeit zu Werke gegangen. In der ersten Zeit hat die Ordensleitung selber, die damals noch ihren Sitz in Elbing hatte, die Durchführung überwacht; als man aber um das Jahr 1300 das Unternehmen in größerem Umfange fortzusetzen gedachte, sah man sich gezwungen, den einzelnen Komturen die Verantwortung für das jeweilige Siedelvorhaben zu übertragen. Die Ordensleitung beschränkte sich darauf, allgemeine Richtlinien zu geben, und ließ somit den örtlichen Stellen genügend Bewegungsfreiheit. In dieser vorbildlichen Aufgabenteilung hat ein älterer Forscher mit vollem Recht den Schlüssel zum Geheimnis des Erfolges sehen wollen.
Die meisten Zinsdörfer des Ordens sind auf Neuland entstanden. In vielen Fällen
sind große geschlossene Wald- oder Sumpfgebiete zur Bildung neuer Dorfgruppen urbar
gemacht worden. So kommt es, daß die überwiegende Mehrzahl der Ordensdörfer deutsche
Namen trägt, die, wenn sie nicht gerade nach dem Besetzer gebildet sind, in ihrer Zusammensetzung sichere Rückschlüsse auf den früheren Zustand der Landschaft zulassen. Es sei hier nur auf all die vielen Namen aufmerksam gemacht, die auf -au, -walde oder
-hagen endigen. Auf jeder modernen Karte heben sich die großen Flächen mit deutschen
oder preußischen Dorfnamen deutlich voneinander ab, dies um so mehr, als die ursprünglich preußischen Ortschaften gewöhnlich recht klein sind und daher enger nebeneinander liegen als die großen deutschen Dörfer mit ihren 50 bis 60 Hufen. Dem kundigen Auge zeigen sich bei näherer Betrachtung andere wesentliche Unterschiede. Die Siedlungen mit preußischen Namen weisen durchweg einen unregelmäßigen Grundriß auf, während die deutschen Zinsdörfer sich vielfach bis auf den heutigen Tag mit ihrer alten Anlageform als Anger-, Straßen- oder Platzdorf erhalten haben und damit Zeugnis ablegen von der inneren Geschlossenheit der Siedlergenossenschaft, der sie ihre Entstehung verdanken. Dann finden sich in den deutschen Zinsdörfern jene schönen alten Kirchen, die, wie in Miswalde, in ihrem heutigen Bauzustand in die Blütezeit der Ordenssiedlung zurückreichen.
Viel bedeutsamer aber als diese großen Veränderungen im Landschaftsbild sind die
politischen Auswirkungen der Dorfsiedlung. Die geschlossenen Dorfgruppen erwiesen sich als unerschütterliche Stützpunkte der Ordensherrschaft auf dem flachen Lande, wo nunmehr in manchen Gebieten das deutsche Bauerntum der stammpreußischen Bevölkerung die Waage hielt. Mit dem Fortschreiten der Dorfsiedlung ist den Preußen die Möglichkeit zu weiteren Aufständen genommen worden. So konnte man seit der Mitte des 14. Jahrhunderts dazu übergehen, einzelne deutsche Dörfer in den Lücken zwischen den älteren Dorfgruppen einzurichten, von denen in Zukunft besonders starke Einflüsse auf die umwohnende preußische Bevölkerung wirksam werden konnten. Diesem Vorgang der räumlichen Annäherung entsprach ein anderer, der der rechtlichen und sozialen Angleichung zwischen den deutschen und preußischen Bauern, die bisher durch eine tiefe Kluft getrennt waren. Noch im 14. Jahrhundert bahnte sich diese Entwicklung durch die Aufnahme preußischer Bauern in deutsche Dorfschaften an und erhielt in der Folgezeit unter dem Einfluß einschneidender Umwälzungen auf dem Gebiet des Agrarwesens neue entscheidende Antriebe. Damit war die Voraussetzung für die blutsmäßige Mischung zwischen deutschen und preußischen Bauern gegeben, die seither vollkommen in den rechtlichen und wirtschaftlichen Formen des deutschen Lebens aufgingen. Wie das allmähliche Verschwinden der preußischen Sprache zeigt, ist dieser Vorgang, dessen große Bedeutung bei einem Vergleich mit der andersgearteten Entwicklung im Baltikum ins rechte Licht gerückt wird, im 17. Jahrhundert zum Abschluß gekommen.
Mit „Ausrottung" hat alles dies nichts zu tun. Die Preußen haben sich dem deutschen Volkstum angeschlossen, weil dieses in seiner kulturellen und wirtschaftlichen Überlegenheit
eine starke Anziehungskraft auf sie ausgeübt hat. Es wird gewiß niemand leugnen wollen,
daß die vielen Kriege, von denen die Eroberung des Landes durch den Orden begleitet war,
zahlreiche Lücken in den Bestand der stammpreußischen Bevölkerung gerissen haben; das liegt nun einmal in der Natur kriegerischer Handlungen. Wenn wir aber schon ganz davon
absehen wollen, daß die einzelnen Landschaften verschieden stark in Mitleidenschaft gezogen
wurden, so wäre es doch völlig unangebracht, von hier aus Schlüsse auf das Verhältnis des
Ordens zu seinen stammpreußischen Untertanen zu ziehen. Besonders polnische „Forscher"
konnten sich nicht genug damit tun, die Nationalitätenpolitik des Ordens im Hinblick auf seine Eroberungskriege zu verunglimpfen, weil sie glaubten, in der Person des Ordens das
ganze Deutschtum und seine Aufbauarbeit im Osten treffen zu können. Dem widersprechen
einzelne Tatsachen, die an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben dürfen.
Zum preußischen Adel hat der Orden von vornherein gute Beziehungen unterhalten. Viele Edle waren in der Zeit der Eroberungskriege zum Orden übergegangen und hatten von diesem eine Bestätigung, wenn nicht gar eine Erweiterung ihrer alten Besitzungen und Gerechtsame erlangt. Der preußische Adel fand sehr bald Anschluß an seine deutschen Standesgenossen und hat sich im 14. Jahrhundert im Wettstreit mit den deutschen Landrittern die größten Verdienste um die Erschließung der Wildnis erworben.
Anders stand es zunächst mit der breiten Masse der unterworfenen Preußen, die durch den Bruch des Christburger Vertrages (1249) rechtlos und unfrei geworden war.
Wenn sie nun auch keineswegs von Haus und Hof verjagt wurden - wir wissen, daß die
zuwandernden deutschen Bauern sich nicht ins warme Nest setzten, sondern Neuland unter
den Pflug nahmen -, so waren sie doch wirtschaftlich sehr schlecht gestellt und hatten keinen Anspruch auf das von ihnen bewirtschaftete Land. Doch trat noch im Verlauf des 14. Jahrhunderts ein grundlegender Wandel ein, als der Orden sich in den 20er und 30er
Jahren dazu gezwungen sah, Angehörige dieser niederen preußischen Bevölkerungsschicht
als Wartleute und Späher in den Randgebieten der Wildnis anzusetzen, wo ihnen Landbesitz
zum Unterhalt zugewiesen wurde. Damit war der Bann gebrochen, und von nun an wurden immer mehr Preußen in das Wildnisgebiet gerufen, wo sie dem Orden neben vielen deutschen und späterhin auch masurischen Zuwanderern bei der Auffüllung und Sicherung der neugewonnenen Landstriche eine unschätzbare Hilfe leisteten. Im Ermland hat man noch vor der Mitte des 14. Jahrhunderts preußische Bauern zur Gründung von Zinsdörfern herangezogen, die mit dem Kulmischen Recht ausgestattet wurden, und wenig später hat auch der Orden selber seinen preußischen Untertanen die Aufnahme in die deutschrechtlichen Dörfer des Marschallamtes ermöglicht und damit eine Entwicklung von weitreichenden Folgen eingeleitet, da man bald dazu überging, alte preußische Dörfer „umzulegen", indem man den eingesessenen preußischen Bauern das Kulmische Recht verlieh.
Wir sehen also, daß von einem „Vernichtungswillen um jeden Preis" keine Rede sein kann. Seine ursprüngliche Haltung, die durch das Erlebnis der dauernden Aufstandsversuche bestimmt war, hat der Orden in dem Augenblick aufgegeben, als feststand, daß die Preußen sich unter dem Eindruck der starken deutschen Einwanderung für alle Zeiten der Ordensherrschaft gefügt hatten. Darum sollte in der breiten deutschen Öffentlichkeit, vor allem in der „gelehrten Welt", dieses haltlose Gerede von der Ausrottung der Preußen aufhören.
(Stand: 04.08.2006)
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